Teilnehmer: Albert Eggler, Expeditionsleiter; Wolfgang Diehl, Stellvertreter; Hans Grimm; Hansrudolf von Gunten; Fritz Luchsinger; Jürg Marmet; Ernst Reiss; Dölf Reist; Ernst Schmied; Eduard Leuthold, Expeditionsarzt; Arthur Dürst, Geograph; Fritz Müller, Glaziologe.
Ergebnisse: Zweite Besteigung des Mount Everest (8850m), Erstbesteigung des Lhotse (8501 m). Glaziologische und meteorologische Beobachtungen im Khumbu-Gletschergebiet.
Nach der Rückkehr der zweiten Everest-Expedition 1952 bewarb sich die Stiftung um die Erlaubnis einer dritten Expedition, zu der Othmar Gurtner einen Plan ausarbeitete. Im September 1953 (nach der ersten Everest-Besteigung!) erhielt die Stiftung von der nepalischen Regierung die Ermächtigung, während des ganzen Jahres 1954 das gesamte Everest-Massiv zu erforschen. Wenig später vernahm man, dass eine Expedition des «Daily Mail» zur Aufsuchung des sagenhaften «Yeti» das Khumbu- Gletschergebiet erkunden werde und die Genehmigung dazu erhalten habe. Es war das gleiche Gebiet, das sich die Stiftung vorgenommen hatte, so dass sie für 1954 auf eine Expedition verzichtete. Für 1955 bewarben sich Dyhrenfurth sen. und jun. für eine Besteigung des Lhotse. Diese Expedition konkurrierte die Pläne der Stiftung, die deshalb für 1955 renoncierte. Die Expedition Dyhrenfurth musste am Lhotse auf etwa 8100 Metern aufgeben. Sie brachte aber die Unterlagen für die Everest-Karte von Erwin Schneider mit.
Nun arbeitete die Stiftung ein neues Projekt für 1956 aus. Man änderte den Plan von 1954, der in erster Linie eine wissenschaftliche Erkundung beabsichtigte, und plante eine bergsteigerische Expedition mit einer Equipe erstklassiger Kletterer. Ihr Ziel war eine zweite Besteigung des Everest und eine Erstbesteigung des Lhotse, während die Wissenschaft an die zweite Stelle trat.
Im Dezember 1955 erliess die Stiftung einen Aufruf für eine nationale Subskription.
Das Budget der Expedition belief sich auf 295’000 Schweizer Franken (Die Kosten betrugen dann tatsächlich 360’000 Schweizer Franken) Die Summe kam zusammen, und Handels- und Industriefirmen spendeten reichlich in Form von Naturallieferungen. Die Expedition erhielt die offizielle Bezeichnung Schweizerische Mount Everest-Expedition 1956.
Als Chef der Expedition wurde in Albert Eggler (43) der geeignete Mann gefunden. Er war Hauptmann der Gebirgstruppen und Veteran des AAC Bern. Eggler kannte die andern Kandidaten bereits persönlich: Ernst Reiss (36), von Brienz, Flugzeugmechaniker, war schon 1952 auf dem Südsattel des Everest; Jürg Marmet (29), Zürich, gebürtig von Spiez, mit Bergführerdiplom, Chemiker und Sauerstoffspezialist. Dieses Trio bildete schon im Frühjahr 1955 den Kern der künftigen Expedition. Zur Rekrutierung der weitern Mannschaft versandte die Stiftung ein Zirkularschreiben an etwa zwanzig der besten Alpinisten der deutschen Schweiz. Von den zahlreichen Anmeldungen wurden folgende ausgesucht: Dölf Reist (35), von Interlaken, Flugzeugmechaniker und Photograph (Seilkamerad von Reiss); Fritz Luchsinger (35), Instruktionsoffizier in Thun, ebenfalls Kamerad von Reiss und Reist; sie bildeten zusammen eine ausgezeichnete Berner Oberländer Seilschaft; Wolfgang Diehl (48) vom AAC Bern, Jurist, Grönland-Spezialist, mit grosser alpiner Erfahrung; er war der Senior der Expedition und funktionierte als Chef-Stellvertreter; Hansruedi von Gunten (28), ebenfalls vom AAC Bern, Chemiker, und dessen Schwager Ernst Schmied (32), beide «Lehrlinge» von Diehl; diese drei bildeten ebenfalls eine sehr gute Seilschaft; Hans Grimm (44), Zahnarzt, von Wädenswil, ebenfalls bewährter Alpinist; Arthur Dürst (30), von Zürich, Geograph und Fritz Müller (30), von Zürich, Glaziologe, als selbständige Wissenschaftler; in Eduard Leuthold (28), von Zürich, wurde in letzter Stunde ein Expeditionsarzt gefunden. Er bekam Gelegenheit, sich zu bewähren. Die ganze Equipe war sehr homogen zusammengesetzt. Im Sommer 1955 absolvierte sie einen militärischen Gebirgskurs, im Januar 1956 einen Lawinen- und einen Sprengkurs. In jeder Beziehung bereitete sie sich gründlich für die künftige Aufgabe vor. Eggler als Stratege arbeitete einen genauen Operationsplan aus. Zwischen dem 20. Mai und 10. Juni sollte der Angriff auf den Everest stattfinden. Nach den meteorologischen Erfahrungen wäre die letzte Maiwoche die günstigste Zeit für die nepalischen Achttausender. Nach diesen Zeitfixierungen wurde rückwärts das ganze Programm aufgestellt, mit Fahrplan, Trägerlasten und Zahl der erforderlichen Hochträger. Auf Empfehlung von Marmet wurde der französische, weil leichtere Sauerstoffapparat ausgesucht (leichtes Modell von Makahn), mit offener Zirkulation und verbesserter Maske, die von Marmet noch vereinfacht wurde. 22 Apparate wurden mitgenommen, die sich sehr gut bewährt haben. Der vollständige Apparat wiegt 6,6 Kilogramm gegenüber 14,2 Kilogramm des Apparates der Expeditionen 1952.
Die erste Equipe von sechs Mitgliedern reiste mit dem Schiff von Genua nach Bombay, wo sie eine Woche lang durch die Zollkontrolle aufgehalten wurde. Von dort ging’s mit der Bahn nach Patua. Eggler und Müller flogen direkt nach Delhi weiter, um die Visa nach Nepal zu beschaffen, und von dort nach Kathmandu, um ein Spezialvisum für den Lhotse zu bekommen, da Nepal in der Regel nur die Erlaubnis zur Besteigung eines einzigen Gipfels erteilt. Glücklicherweise konnten diese Formalitäten ohne besondere Schwierigkeiten erledigt werden. Ein guter Verbindungsoffizier, Prachand Nan Singh Pradhan, ein Student, konnte engagiert werden. Am 2. März war die ganze Equipe im Grenzort Jaynagar beisammen, mit Ausnahme von Grimm und Marmet, die mit dem Sauerstoff etwas später nachfolgten. Dort stiess auch der Sirdar Pasang Dawa Lama mit 22 Sherpas von Darjeeling zur Kolonne. Dann ging’s auf dem bekannten Weg mit Büffelkarren bis Chisapani und von dort mit 350 Trägern und Trägerinnen über Thare-Jubing nach Namche Bazar, wo die Kolonne am 21. März eintraf und ein Lager oberhalb des Dorfes errichtete. Am folgenden Tag fiel 20 cm Neuschnee. Am 24. März kam man nach fünfstündigem Marsch zur Klostersiedlung Thangboche. Es waren jetzt noch 150 Träger, und es musste ein Nachschub organisiert werden. Bis hierher ging alles reibungslos. Dann erkrankte Luchsinger an einer akuten Blinddarmentzündung.
In Thangboche stellte der Lama, das heisst der Abt des Klosters, dem Kranken einen Raum zur Verfügung, in dem allerdings das Wichtigste fehlte: die Heizung. Die Krankheit sah zeitweise gefährlich aus, so dass eine Notoperation in Erwägung gezogen wurde. Schliesslich kam der junge Expeditionsarzt, Eduard Leuthold, der sich bei dieser Gelegenheit gut bewährte, mit einer medikamentösen Behandlung durch. Etwas später erkrankte Wolfgang Diehl nach einer Trainingstour an einer beginnenden Lungenentzündung, die dank einer intensiven Sauerstoffbehandlung geheilt werden konnte. Zuletzt fiel noch der Sirdar der Expedition, Basang Dawa Lama, aus. Hohe Fieber machten einen Rücktransport nach Namche Bazar in Begleitung von Leuthold notwendig, wo er sich später wieder erholte. In Pasangs Schwager, Dawag Tenzing, fand sich ein ausgezeichneter Nachfolger.
Während der Akklimatisation wurden einige bescheidenere Gipfel erstiegen sowie einige namenlose Fünftausender. Am 7. April wurde das Basislager (5370 m) bezogen. Von hier konnte der berüchtigte Khumbu-Eisfall in Angriff genommen werden. Bis zu Lager I (5800 m) in der Gletschermulde gab es keine Schwierigkeiten. Diese zeigten sich erst auf dem Weg zu Lager II (6110 m) am Eingang zum Westbecken, dem wildesten Teil des Gletscherbruches. Die grosse Querspalte war diesmal wieder mindestens vier Meter breit und wurde mit Hilfe von zwei zusammengeschraubten Leitern aus Leichtmetall überwunden. Mehrere Eissprengungen mussten zur Sicherung des Weges vorgenommen werden. Lager III (6400 m) wurde als vorgeschobene Basis ausgebaut.
Am 1. Mai wurde das Lager IV (6800 m) auf der untersten Terrasse des Lhotse-Hanges erstellt. Luchsinger, der sich inzwischen von seiner Blinddarmentzündung erholt hatte, war schon wieder dabei. Auf einer Terrasse unterhalb des «Gelben Bandes» wurde am 6. Mai das Lager V (7400 m) errichtet. Von hier aus wurde am «Gelben Band» ein Quergang mit Seilgeländer angelegt, als Zugang zur unteren Station eines Seilwindenaufzuges in der Lhotse-Flanke. Die obere Station lag beim Lager VIa unter der «Genfer Schulter». Als die Seilwinde in Betrieb war, verschlechterte sich das Wetter, und es begann zu schneien. Luchsinger und Schmied, die sich im Lager VIa befanden, entschlossen sich zum Abstieg nach dem Lager V, doch mussten die Lager V und IV infolge des anhaltenden Schneefalles zeitweise verlassen werden. Am 14. Mai hellte es auf, doch wehte ein starker Wind, der die Spuren immer wieder verwehte, so dass der Weg zum Lager VIa und darüber hinaus bis auf die «Genfer Schulter» (8020 m) immer neu hergerichtet werden musste. Am 17. Mai abends war das Lager VIa von Reiss und Luchsinger besetzt, Lager V von Reist und Gunten, Lager IV von Eggler und Schmied und Lager III von allen übrigen.
Der Handstreich auf den Lhotse
Nach einer kalten Nacht (minus 25 Grad Celsius im Lager V) traten Ernst Reiss und Fritz Luchsinger am 18. Mai zum Angriff auf den Lhotse (8501 m) an und querten in das Lhotse-Couloir hinüber. Gegen Mittag waren sie an der Schlüsselstelle, die mittels Felshaken überwunden wurde. Sechs Stunden nach dem Aufbruch von Lager VIa waren die beiden auf dem wildzerrissenen Gipfel des Lhotse in der Sonne. Dreiviertel Stunden blieben sie auf der scharfen Spitze, wo es keinen Platz zum Sitzen gab und die Gipfelaufnahmen grösste Vorsicht erforderten. Der Ausblick auf die zackigen Grate des Lhotse und hinüber zum Everest war von grossartiger Wildheit. Der Sauerstoff war aufgebraucht, der Wind wurde heftiger, Hände und Füsse wurden gefühllos, es war höchste Zeit für den Abstieg. Mit äusserster Vorsicht und sorgfältigem Sichern, indem nur einer sich bewegte, ging es den aussergewöhnlich steilen und exponierten Firnhang hinunter. Der grosse Querhang brachte sie zum Lager VIa. Um 18.15 Uhr standen die beiden abgekämpft, aber glücklich vor dem verlassenen Zelt, das der Schnee inzwischen eingedrückt hatte. Nach langem Schaufeln konnten sie nach zwölf harten Stunden endlich hineinkriechen und in ihre Schlafsäcke schlüpfen. Am nächsten Tag stiegen sie mit Zwischenhalten in den Lagern V und IV zum Lager III ab, wo sie sich rasch erholten.
Mit der Besteigung des Lhotse waren zum ersten Mal schweizerische Bergsteiger auf dem Gipfel eines Achttausenders.
Der Aufstieg zum Everest
Am 21. Mai wurde das Lager VIa über die «Genfer Schulter» (8020 m) hinüber in den Südsattel (7986 m) verlegt. Das neue Lager VIb befand sich etwa hundert Meter westlich vom Lagerplatz der britischen Expedition von 1953. Unsere Bergsteiger fanden noch zahlreiche Gegenstände, brauchbare Lebensmittelkonserven und Sauerstoffflaschen vor. Am Mittag des 22. Mai, nachdem es am Morgen leicht geschneit hatte, setzte sich die erste Gipfelseilschaft in Marsch: Ernst Schmied und Jürg Marmet mit vier Sherpas.
Der Aufstieg geschah mit Sauerstoff. Nach zwei Stunden war Punkt 8250 m erreicht, ungefähr die Stelle, wo im Mai 1952 das oberste Zeltlager von Raymond Lambert und Sherpa Tenzing stand. Auf etwa 8400 Meter Höhe befand sich westlich der Gratkante eine kleine Mulde, die als geeigneter Zeltplatz in Frage kam. Die vier Sherpas wurden zum Lager VIb zurückgeschickt, während Schmied und Marmet das Lager VII mit einem kleinen Zweierzelt erstellten. Wegen heftiger Winde musste das Zelt mit Steinen beschwert und mit Felshaken befestigt werden. Die beiden waren gut und reichlich ausgerüstet mit Luftmatratze, doppeltem Daunensack, gemeinsamem Biwaksack aus Nylon, einem Kochapparat, einer Gipfelpackung notwendigen Proviants und fünf gefüllten Sauerstoffflaschen. In der Nacht drückte der Flutschnee das Zelt so stark zusammen, dass sie es freilegen mussten, um nicht zu ersticken. Erst um 8.30 Uhr konnten sie zum Aufstieg aufbrechen. Das Wetter war immer noch sehr stürmisch, so dass sie nicht recht an den Erfolg glaubten. Aber allmählich liess der Wind nach, und gegen 12 Uhr mittags erreichten sie die Firnkuppe des Südgipfels (8760 m). Zum Hauptgipfel führt ein Grat mit wackligen Kalkblöcken, während rechts riesige Wächten überhängen. Das Wetter hat sich geklärt, und der wolkenlose Himmel ist tiefblau. Unterhalb des Gipfels ist eine 15 Meter hohe Steilstufe zu überwinden, wo ein Kamin zwischen Fels und Wächte hinaufführt. Stufen schlagend und kletternd arbeitet sich Schmied als erster empor, während Marmet unmittelbar nachfolgt. Am 23. Mai, 14 Uhr, stehen zum zweiten Mal Menschen auf dem höchsten Gipfel der Erde. Schmied befestigt die Wimpel Nepals, der Schweiz und Berns an seinem Pickel, während Marmets Kamera die einzigartige Rundsicht im Bilde festhält. Sie haben die Sauerstoffmasken abgelegt, es ist windstill, so dass sie beinahe eine Stunde auf dem Gipfel bleiben. Dann umhüllt sie plötzlich dichter Nebel, der zu raschem Abstieg auffordert. Um 17 Uhr sind sie wieder beim Lager VII, wo sie die zweite Gruppe von Dölf Reist und Hansruedi von Gunten mit einem Sherpa antreffen, die daran sind, das eingeschneite Zelt auszugraben. Schmied und Marmet nehmen den Sherpa an ihr Seil und steigen zu dritt zum Südsattel ab, wo sie kurz vor 19 Uhr im Lager VIb eintreffen.
Auch der zweiten Mannschaft, Reist – von Gunten, gelang die Gipfelbesteigung. Die Nacht war wieder sehr kalt, aber der kommende 24. Mai war seit Wochen der schönste und windstillste Tag. Um 6.45 Uhr brachen sie auf, um 10 Uhr waren sie auf dem Vorgipfel und gönnten sich eine kurze Rast. Auf dem Verbindungsgrat zum Hauptgipfel, der mit seinen riesigen Wächten wenig vertrauensvoll aussah, stiessen sie auf die noch gute Spur, die Schmied und Marmet hinterlassen hatten. Auch am obersten Steilaufschwung konnten sie den Stufen ihrer Vorgänger folgen, und um 11 Uhr erreichten sie den Gipfel. Bei empfindlicher Kälte herrschte völlige Windstille. Zwei volle Stunden hielten sie Gipfelrast und legten die Sauerstoffmasken zeitweilig ab. Grosse Wolkenfelder segelten von Süden heran und verkündeten das baldige Anrücken des Monsuns. In bester Form und kürzester Zeit stiegen sie ab und erreichten nach zwei Stunden um 15 Uhr den fast tausend Meter tiefer gelegenen Südsattel.
Nach einigem Zögern verzichtete Eggler auf eine weitere Seilschaft zum Everest. Der Monsun war im Anzug, und ein Abstieg erwies sich als vorsichtiger und klüger. Luchsinger, Reiss, Müller und Leuthold stiegen noch zum Südsattel auf, dann trat die ganze Equipe den Abstieg zum Basislager an, wo alle am 29. Mai gesund eintrafen. Das grosse Abenteuer war damit zu Ende.
Abgesehen von den paar Krankheitsfällen während des Anmarsches, stand die Expedition unter einem guten Stern. Sie hatte ein seltenes Glück mit dem Wetter. Die guten Resultate verdankt sie aber vor allem der sorgfältigen Organisation, der tüchtigen Führung und nicht zuletzt dem guten Geist und Zusammenhalt der gesamten Mannschaft. Es war eine der erfolgreichsten Expeditionen in der Geschichte des Himalaya. Die Stiftung hat damit ein Programm zum glücklichen Abschluss gebracht, an dem sie fünf Jahre lang zäh gearbeitet hat.