Pressemittteilung der Schweizerischen Stiftung für Alpine Forschung vom 15.11.1999
Am 11. November 1999 in Washington D.C., hat Dr. Bradford Washburn, seines Zeichens emeritierter Professor für Kartographie am Boston Museum of Science und korrespondierendes Mitglied der Schweizerischen Stiftung für Alpine Forschung, anlässlich eines ‘Mount Everest-Abends’ der National Geographic Society und des American Alpine Club die neu vermessene Höhe des höchsten Berges der Welt bekanntgegeben: 8’850 m ü. M. (29’035.3 feet), also gut 2 Meter höher als die bisher gemessenen 8848 m ü. M. (29’028 feet).
Die auf Initiative und unter der Gesamtleitung von Bradford Washburn durchgeführte dreidimensionale Positionsermittlung des Everestgipfels beruht im wesentlichen auf satellitengestützter Triangulationstechnik. Im Mai dieses Jahres hat das US-amerikanische ‘Everest-Millennium’-Expeditionsteam unter der Leitung des sechsfachen Everestbesteigers Pete Athans nach mehreren witterungsbedingten Fehlschlägen des seit 1995 laufenden Projektes ein Empfangsgerät für die Satellitensignale des Global Positioning Systems (GPS) im Gipfelgestein des Everests verankert. Ein weiterer GPS-Empfänger wurde bereits 1996 beim Südsattel des Mt. Everest auf 7930 m ü. M. fix installiert. Zusammen mit den Daten der mobilen GPS-Empfänger, welche die Expeditionsteilnehmer entlang der normalen Süd-Aufstiegsroute einsetzten, erbrachte der simultane Einsatz dieser beiden Fixstationen eine Positionsbestimmung von bisher nicht erreichter Präzision. Die Höhe der Schneekuppe auf dem Everestgipfel, welche je nach Intensität der Monsunzeit stark variiert, wurde von den Berechnungen ausgeschlossen, indem zusätzlich mit einem ebenfalls auf den Everest getragenen Radargerät die Lage des Felssockels ermittelt wurde. Zusammen mit seiner Schneekuppe ragt der Everest demnach durchschnittlich noch einen Meter mehr, also 8851 Meter (29’038 feet) in den Himmel.
Die Vermessungs- und Benennungsgeschichte des höchsten Berges der Welt begann 1852. Damals meldete der bengalische Vermesser Radhanath Sikhdar im Büro von Indiens oberstem Landesvermesser, Sir Andrew Waugh, die Entdeckung des höchsten Berges der Erde, der als Gipfel XV vermerkt wurde. Sikhdars Berechnungen wurden 1856 bestätigt, und 1865 benannte Sir Waugh den Gipfel XV zu Ehren von Sir George Everest, seinem Vorgänger im Amt des Surveyor General, Mount Everest. Damit ignorierte er die bereits existierenden Namen der Tibeter (Chomolungma = Göttin der Erde) und der Nepalesen (Sagarmatha = Göttin des Himmels).
Die damals gemessenen 8840 m ü. M. waren ein Mittelwert, gewonnen aus Angaben von 6 verschiedenen Vermessungsstationen, die sich alle zwischen 170 und 190 km vom Everestmassiv entfernt auf ca. 60 m Meereshöhe befanden. Seit dem Jahre 1954 galt für den Mt. Everest die Meereshöhe von 8848 Metern (29’028 feet). Diesen Wert errechnete der Survey of India als Mittelwert aus den Messdaten von insgesamt 12 Vermessungsstationen mit einer Distanz zwischen 47 und 76 km zum Everest. Im September 1992 wurde die erste moderne Höhenvermessung direkt am Berg von einem chinesisch-italienischen Expeditionsteam durchgeführt. Dabei wurden neben dem Einsatz herkömmlicher, schweizerischer Theodoliten auch Daten aus Lasermessungen und GPS-Signalen gewonnen. Die ermittelte Höhe lag erstaunlich nahe bei dem alten Wert: 8848,82 m ü. M. (29’031 feet).
Mit den im Mai 1999 durchgeführten, GPS-gestützten Positionsmessungen, welche nun für den Mt. Everest eine Höhe von 8’850 m ü. M. (29’035.3 feet) festlegen, konnten nicht nur zentimetergenau die Höhe und die Koordinaten des Everestgipfels berechnet werden, sondern auch die kontinuierliche Veränderung dieser Werte aufgrund der Kontinentaldrift. Die vor 50 Millionen Jahren begonnene ‘Unterwanderung’ der eurasischen Kontinentalplatte durch den indischen Subkontinent dauert an und bewirkt, dass das Himalayamassiv weiter angehoben und verschoben wird. Nach den ersten Auswertungen der seit 4 Jahren durchgeführten GPS-Messungen beim Südsattel des Mt. Everest auf 7930 m ü. M. nahm das Expertenteam an, dass das Everestmassiv mindestens 4 mm pro Jahr an Höhe gewinnt. Wie Bradford Washburns jetzt an seiner Pressekonferenz erklärte, hat sich die Höhe des Everest in dieser Zeit zwar nicht verändert, aber der Berg wurde zwischen 3 und 6 Millimeter pro Jahr in Richtung Nordosten verschoben. Dennoch ist Bradford Washburn aufgrund der regionalen Tektonik davon überzeugt, dass der Everest und mit ihm das ganze Himalayamassiv über die Jahre hinweg millimeterweise an Höhe gewinnt. Ungelöst ist dabei die Frage, ob die Gebirgserosion diesen Bruttozuwachs auf die Dauer wieder zunichte macht. Neben dem rein alpinistischen Kuriosum, dass sukzessive jeder Neuling auf dem Everest höher geklommen ist als alle zuvor, können – im Verbund mit einer Vielzahl weiterer Vermessungsdaten des Himalayamassivs – aus der GPS-gestützten Everest-Neuvermessung seismologisch relevante Daten der Kontinentaldrift erhalten werden, die einen wichtigen Beitrag zur Ursachenforschung von Erdbeben leisten.
Dank Bradford Washburns inspirierendem Enthusiasmus für die Berge der Welt konnte im Lauf der Jahre so manches Kartenprojekt gemeinsam mit dem Boston Museum of Science, der National Geographic Society, der University of Alaska Press, dem Bundesamt für Landestopographie, der Vermessungsfirma Swissphoto und der Schweizerischen Stiftung für Alpine Forschung realisiert werden.
Notabene: Auf ein geologisches Faszinosum macht dabei die Internetseite des österreichischen Fernsehsenders ORF aufmerksam. Wissenschaftler der japanischen Universität Kyushu postulieren nämlich anhand von Gesteinsproben aus Verwerfungen an der Nordseite des Mt. Everest auf 8500 m ü. M., dass der Everestgipfel vor 20 Millionen Jahren vermutlich 15’000 Meter hoch in den Himmel ragte, bevor er gewaltig ins Rutschen kam.
Hinweise:
Der nachfolgende Link gibt vertieften Einblick in das abenteuerliche Expeditionsunternehmen der Mt. Everest-Höhenvermessung: